Glauben
Bücher
<< zurück


Die globale menschliche Erfahrung von Gottes Reich als tätiges Studium

Verlag: Tectum | > direkter Link zum Buch

Vorwort

Was bewegt einen evangelischen Gemeindepfarrer, der zudem auf die lutherischen Bekenntnisschriften ordiniert worden ist, für eine Dissertation verstärkt auf die Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zurückzugreifen? Warum beschäftige ich mich mit den Kommentaren und Verlautbarungen der römisch – katholischen Kirche und ihrer Würdenträger?

Die Antworten sind vielfältig. Protestanten haben leider vergessen, welche Öffnungen nach allen Seiten das Konzil einerseits selbst schon im Blick hatte und andererseits durch die Verhandlungen sowie die theologischen Gespräche erst ermöglicht wurden. Viele ökumenische Kontakte sind erst durch die 21. allgemeine Kirchenversammlung denkbar und dann auch durchführbar geworden. Sie war und bleibt von geradezu revolutionärer Bedeutung. In die Zeit des Konzils fiel auch die Begegnung von Papst VI. und dem Patriarchen Athenagoras am 5. Januar 1964 in Jerusalem. Es war das erste Treffen des Oberhauptes der katholischen und der orthodoxen Christenheit seit über 500 Jahren. Die Pilgerfahrt des Papstes war für die im heiligen Lande lebenden Juden, Muslime und Christen von entscheidender Bedeutung und diente dem Frieden. Ein ähnliches Ereignis von vergleichbarer historischen Tragweite wünscht sich ein jeder für unsere Zeit und vor allem für den krisengeschüttelten Nahen Osten. Wer die Antworten auf die brennenden Fragen, die Lösungen für die vielfältigen Probleme sucht, muss sich darüber im klaren sein, dass Politik und Wirtschaft an ihre Grenzen gestoßen sind. Aus diesem Grund lohnt ein Rückgriff auf die Verlautbarungen und Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Protestanten und Katholiken können heute unbeschwert miteinander kommunizieren und Gedanken austauschen. Eine neue Form der ökumenischen Theologie ist seit jenen Tagen möglich. Mit dem Konzil wurden die Bischöfe gegenüber der päpstlichen und kurialen Zentralgewalt selbständiger. Das Apostolat der Laien und die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen waren Schwerpunkte in den Erörterungen. Die Liturgie konnte ganz entscheidend reformiert werden. Das Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen wurde überdacht. Vergessen wir nicht, dass an den öffentlichen Sitzungen und Generalkongregationen jeweils neun orthodoxe und protestantische Kirchen, die Altkatholische Kirche der Utrechter Union, die Anglikanische Gemeinschaft sowie der Weltrat der Kirchen teilgenommen haben.

Ökumenische Trauungen, das entspanntere Verhältnis der Konfessionen zueinander sowie die Zusammenarbeit im sozialpolitischen Bereich sind nicht denkbar ohne das Ereignis in den sechziger Jahren mit seinen weitreichenden Folgen.

Meine theologische Prägung ist eine ökumenische. Schon früh habe ich die Frömmigkeit der koptisch – orthodoxen Kirche kennen gelernt. Bei der Beschäftigung mit dieser in Ägypten und Äthiopien beheimateten Kirche wurde der Blick für die Ökumene geschärft, entdeckte ich doch zunächst fremd Anmutendes, dann Faszinierendes. Der Urkirche wollte ich nachgehen und meinte, viele Antworten in Alexandrien und Kairo sowie Südägypten finden zu können. Zugleich begegnet in der koptischen – orthodoxen Nationalkirche orientalischen Ursprungs nicht nur eine sehr alte, sondern zudem auch eine Gemeinschaft von Christen, die in ihrer langen Geschichte nie eine Phase längeren Friedens erfahren durfte, Die Auseinandersetzung mit einem militanten Islam ist für sie eine tägliche Herausforderung.

Über meine Frau habe ich zum einen die römisch – katholische Kirche Kroatiens als auch die serbisch – orthodoxe des nicht mehr existierenden Jugoslawiens kennen gelernt. Auch hier begegneten mir neue Frömmigkeitsformen und Kirchenstrukturen innerhalb des Christentums.

Der am 15.1.1866 in Schweden geborene Theologe und spätere Erzbischof von Uppsala Nathan Söderblom bleibt für mich die wohl wichtigste Gestalt der Ökumene. Unter dem Einfluss der schrecklichen Ereignisse des 1. Weltkrieges und der weitreichenden Folgen desselben sah er sich genötigt zu handeln. Die Konferenz für Praktisches Christentum in Stockholm war wohl der Höhepunkt im Wirken des skandinavischen Kirchenmannes für die Einheit der Christenheit. 1925 konnte etwas beginnen, das später im Ökumenischen Rat der Kirchen seine Fortsetzung finden sollte.

Im Laufe der Zeit wurde ich in meinem Denken bestärkt. Die Herausforderungen der Zeit kann die Kirche nur als eine geeinte annehmen. Bestehen gelingt nur, wenn Christen nicht nur auf den Anbruch, sondern bereits auf das Werden des Reiches Gottes mitten im Gegenwärtigen vertrauen.

Warum sollte sich ein evangelischer Theologe und Pfarrer nicht einmal katholischer Verlautbarungen und Erklärungen annehmen? Warum sollte er nicht von Zeit zu Zeit zur Kenntnis nehmen, was Bischöfe anderer Konfessionen meinen, den Gläubigen mitteilen zu müssen? Einen Grund wüsste ich nicht.

Ich wünsche mir für die kommende Jahre eine Zusammenkunft, die ähnlich in die Zukunft wirken kann wie Zweite Vatikanische Konzil. Einheit muss das Ziel sein.

„Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“ (Eph 4,15)

Der Ökumenischen Kirchentag (Berlin, 2003) hat viele Initiativen entstehen lassen. In Berlin - Spandau werden beispielsweise drei Gemeinden einen konfessionsübergreifenden Pfingstgottesdienst feiern.

„Schaue die Zertrennung an, der sonst niemand wehren kann; sammle großer Menschenhirt, alles was sich hat verirrt. Erbarm dich, Herr.“ (EG 262, 3)

1. Was ist eigentlich aus der Guten Nachricht geworden?

Viele der heute lebenden Menschen, die in fast jedem Land der Erde zu Hause und zu finden sind und Schätzungen zufolge insgesamt ein Fünftel der Weltbevölkerung stellen, würden von sich behaupten, dass ihre Lebensphilosophie auf der Lehre eines jüdischen Propheten namens Jesus basiert . . .


1-In seiner Produktivität ist das Zweite Vatikanische Konzil in der Konziliengeschichte ohne Beispiel. Insgesamt wurden sechzehn Texte von unterschiedlicher Bedeutung und Länge verfasst. In der Konstitution zur „Lehre der Kirche“ wird dieselbe als wanderndes Gottesvolk und als der geheimnisvolle Leib Christi beschrieben. Sie ein Werk des dreieinigen Gottes, besitzt eine göttliche und eine menschliche Dimension und verwirklicht sich in der römisch – katholischen Kirche.

2-Das Konzil handelte und öffnete sich der Welt. Die Probleme der Zeit wurden erkannt. Aufgeschlossen wie nie zuvor und selten danach beschäftigte sich die römisch – katholische Kirche mit Themen wie Menschenwürde, Ehe und Familie, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Konzil trat für die Religionsfreiheit sowohl des Individuums als auch kollektiver Gruppen ein.

3-Das Zweite Vatikanische Konzil sah sich veranlasst, fortan bei den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die Taufe und andere Sakramente anzuerkennen. Die künftige Einheit der Kirche sollte als Aufgabe gesehen und angegangen werden. Den alten Gedanken und das entsprechende Konzept von der Rückkehr der übrigen Christen in den Schoß der römisch – katholischen Kirchen wurde nach und nach aufgegeben.

4-In Alexandrien war die weltberühmte Theologenschule zu Hause. Die Wurzeln des Mönchtums sind ebenfalls in Ägypten zu finden. Antonius und Pachomius ist es zu verdanken, dass bereits im 4. Jahrhundert aus den bislang existierenden Eremitenkolonien wirkliche Mönchklöster wurden.

5-Das Wirken Söderbloms und die Folgen seiner Tätigkeit können in wenigen Worten kaum wiedergegeben werden. Ich beschränke mich auf das Wesentliche. In seinem Heimatland gelang es ihm, das moderne Studium der Religionsgeschichte einzuführen. Er widmete sich anfangs vor allem der altpersischen Religionen. Darüber hinaus galt sein Interesse dem Offenbarungsgedanken. Als schwedischer Theologen fühlte er sich Luther besonders verbunden und arbeitete Zeit seines Lebens über den Reformator. Auch der katholische Modernismus blieb nicht unbeachtet. Söderblom fand auch Zeit für das Dichten von Kirchenliedern und verfasste Erbauungsschriften (siehe auch E. Ehnmark, Nathan Söderblom, in RGG 3 Band 6, S. 115).

^top