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Heiligabend 2002

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt!

Liebe Gemeinde!
In jedem Jahr zu Weihnachten geht es mir genauso: Am Jahresende schaue ich zuerst auf die schlechten Nachrichten, blicke voller Angst und Sorge in die Zukunft und mit Schaudern in die Vergangenheit! Ein neuer Krieg im Nahen Osten steht uns vielleicht bevor, die Flutkatastrophe in weiten Teilen unseres Landes hat das Sicherheitsdenken in Deutschland gehörig durcheinander gebracht.

Die Steuerpolitik der Regierung kann von nur wenigen Menschen wirklich nachvollzogen werden. Mit einem rigorosen Sparkurs möchte niemand seinen Alltag gestalten! Es gab die Wörter und Unwörter des Jahres: PISA und T - Euro gehören dazu! Auch die Lieder im Radio sind melancholischer geworden.

Manch einer sagt: Das Leben ist einfach nicht fair. In der Mitte seines Daseins stehend, mag einer ausrufen: So habe ich mir das nicht vorgestellt!

Vielleicht ist unter Ihnen auch der eine oder andere, der nur widerwillig mit seiner Familie in den Gottesdienst gegangen ist.

Das Leben ist nicht fair! Aber was ist schon fair? Denken wir gemeinsam heute Abend darüber nach. Dazu möchte ich Sie einladen! Weihnachten hat durchaus etwas mit Gerechtigkeit zu tun! Ich möchte im folgenden nicht mehr von Gerechtigkeit sprechen, sondern das neudeutsche Wort "Fairness" benutzen. Neue Formulierungen weiten zuweilen den Blick, lassen frisch erkennen, was längst verschüttet ist.

Gerechtigkeit kann mir zustehen. Ich fordere sie ein. Fairness ist ein willkommenes Geschenk!

In dieser Nacht, in der Heiligen Nacht, war und ist Gott fair mit uns Menschen. Es geht nicht um die Erfüllung von Ansprüchen, Ansprüchen auf Geschenke oder Zuneigung, auf feine, friedvolle Stimmung unterm Weihnachtsbaum, sondern um die Gabe der Liebe Gottes zu allen Menschen.

Denn wenn Gott gerecht gewesen wäre, dann hätte er sicher zum Establishment und zu den wohlsituierten Bürgerinnen und Bürgern von Jerusalem oder Bethlehem gehen müssen. Aber Nein!

Er ist zu den Hirten gegangen, zu den Außenseitern und Outlaws damals. Es waren wirklich keine heiß-begehrten Jobs, in der Nacht draußen auf dem Feld auf Schafe und Ziegen aufzupassen. Darum hat sich keiner gerissen. Solche Arbeitsplätze gibt es auch heute noch. Die meisten Leute sind sich dafür zu gut!

Ich möchte mit einer sogenannten Neidskala arbeiten. Gott kommt zu Menschen zuerst, die auf dieser Skala ganz unten stehen. "Wer möchte mit denen tauschen?" Dann kommen andere, die auf der Skala ganz oben sich befinden. Ob nun Könige oder Weise, sie sind angesehen, bringen Schätze mit. Selbst Herodes behandelt sie mit Achtung. Beide Personengruppen kann ich mir gut in einer dieser unsäglich - unmöglichen Vormittagstalkshows vorstellen. Hirten und Weise bei "Vera am Mittag".

Die Weisen machen sich auf den beschwerlichen Weg zu einem Kind! Was für Sehnsüchte und unerfüllte Hoffnungen gären in den Herzen der angesehenen Männer?

Und Gott zeigt ihnen den Weg zum Heil, zu seinem Heil. Es geht nicht um die Frage: "Wer wird Millionär?" Es geht um etwas ganz anderes. Hirten und Weise brauchen gleichermaßen Erlösung.

Gott ist zu allen Menschen fair: Er kommt zu Armen und zu Reichen, zu Sozialhilfeempfängern und Millionären, zu Arbeitslosen und Beamten, zu Rentnern und Kindern. Zu allen eben. Es wird keiner ausgelassen.

Das relativiert meine Vorstellungen der Gesellschaft. Wir denken gern in Schubladen. Da gehörst du hin! Denn Weihnachten macht alle gleich - nicht vor der Kasse und der Ladentheke: Da werden Unterschiede bleiben, aber im Glauben und vor Gott: Vor der Krippe werden wir alle gleich und unsere Geschenke werden zweitrangig.

In diesem Moment leuchtet etwas von Paradies bzw. dem Reich Gottes auf! Die Skeptiker höre ich wohl:

Die Hirten bleiben doch auch nach Weihnachten Hirten und damit arme Schlucker. Und die Weisen ziehen heim in ihre Heimat und bleiben angesehen und wohlhabend.

Und Sie und ich werden nach dem Gottesdienst heim gehen in unsere unterschiedlich ausgestatteten Wohnungen und werden ganz unterschiedlich beschenkt werden, mit Freundschaft und Sympathie, mit Erinnerungen und manche auch mit Einsamkeit.

Für mich bleibt der Gedanke von Fairness. Es ist weit mehr als ein Traum. In den langen Jahrhunderten der Geschichte unseres Glaubens gab es die leuchtenden Momente, in denen alle Unterschiede verschwanden, Menschen füreinander einstanden. Wenn es auch nur Augenblicke waren, dafür lohnt es, Christ zu sein.

Zu Weihnachten darf nicht der Blick auf das Negative überwiegen! Nicht nur Schaudern, Angst und Sorge. Es kann sich mit Weihnachten wirklich etwas ändern: Da ist mein Blick für den, der nebenan wohnt. Gemeinsam an der Krippe zu stehen, das verbindet. Schauen Sie sich ruhig einmal den Mann oder die Frau neben sich, hinter sich, vor sich in der Bank an: Wir stehen zusammen an der Krippe und werden von Gott beschenkt.

Der Hirte bleibt Hirte, aber er hat ein neues Selbstbewusstsein: Ich bin auch etwas wert. Ich darf meinen Kopf aufrecht tragen, denn so wie ich bin, nimmt mich wenigstens das Kind in der Krippe an und damit Gott selber.

Und die Weisen haben ihre Sehnsucht gestillt bekommen nach Wärme und Menschlichkeit. Sie dürfen sich neu orientieren.

Ob die Weisen mit den Hirten tauschen wollten? Wohl kaum, auch wenn sie vor der Krippe gleich waren! Aber ich glaube auch nicht, dass die Hirten mit den Weisen wirklich tauschen wollten. Die Luft für die Mächtigen ist ziemlich dünn!

An der Krippe können wir alle dies Selbstbewusstsein wieder auf Vordermann bringen lassen, von dem Kind in der Krippe, von dem großen Gott der zu uns kommt, zu Ihnen und zu mir. Deshalb kann Weihnachten den Blick füreinander verändern.

Weihnachten öffnet deshalb für mich die Augen für die Fairness Gottes: Jeder hat seine eigene Not und Sehnsucht; jeder braucht seine Lösung für sein Problem, nicht meine Lösung für sein Problem!

Uns verbindet die Krippe. So kann Weihnachten wirklich etwas verändern: Meinen Blick für den anderen, für die andere. Vor dem Kind in der Krippe sind wir auf einer Augenhöhe, weil wir uns alle niederknien können.

Ich wünsche Ihnen deshalb, dass mit dieser Heiligen Nacht nicht nur unsere Hoffnungen auf Leben und Liebe wieder aufblühen, sondern dass auch wirklich sich etwas verändert.

Und der Friede Gottes, der größer ist all` unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

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